Lenas Augustbeitrag

Oxyflora und wie alles begann.

Quadratmeter im Freien zur eigenen Verfügung zu haben, gepaart mit freier Zeit, die dieser Fläche gewidmet werden kann, ist entweder unverschämt luxuriös oder aber die Gesellschaft und die Menschen in ihr haben sich derartig von einem menschenwürdigen Leben entfernt, dass es überraschend ist, dass freie Zeit und Fläche ein Luxus sein sollen. Wie auch immer es interpretiert wird, eines ist gewiss: Ein Garten, Balkon, Hof oder eine Terrasse verraten nicht nur etwas über den soziale Stand einer Person, sondern auch unweigerlich über Kultur, Kreativität, Bildung und Kapital. Darüber hinaus verraten sie auch etwas über die eigene Philosophie und Lebensanschauung. Denn einen Garten zu pflegen und zu bewirtschaften ist immer auch ein philosophischer Akt.

Schon bei der Planung eines Gartens wird man sich über kurz oder lang mit sehr politischen, sozialen und philosophischen Fragen auseinandersetzen müssen. Einen Bereich Erde zur freien Verfügung zu haben, in dem die eigene Selbstwirksamkeit in einem überschaubaren Rahmen sichtbar und spürbar wird, ohne sich mit der Fläche zu überfordern, war für mich ein sehr verlockender Gedanke. Ein Stück Erde, auf dem ich Dinge "richtig" machen kann, dachte ich mit viel Pathos im Wochenbett mit meinem Sohn, als ich begann, mehr über die Klimakrise und den Menschen im Kontext der Erdentwicklung zu lesen. Aber damals, in der Stadt im Taunus, war Land teuer und Garten kaum zu bekommen. Ich begann mein eigenes Gartenabenteuer also mit dem Bau von zwei Hochbeeten für den Balkon. Wohl wissend, dass selbst ein winziger Garten schon Heimat für zahlreiche Insekten und Pflanzen sein kann und schon die beiden Hochbeete auf dem Balkon einen Unterschied machen.



Gärten waren, so hatte ich es vermittelt bekommen, Frauensache. Die Frauen in meiner Familie hatten Gärten und verbrachten dort ihre Zeit nach der Arbeit und zur Erholung mit den Kindern. Meine Uroma lebte auf einem Selbstversorgerhof, meine Oma hatte einen prächtigen Staudengarten und meine Mutter einen wunderschönen Bauerngarten mit Hühnern und Obstbäumen in der Innenstadt. Ich wusste also, hatte es ja gesehen, dass auch in einem vollen Alltag mit Kindern und Beruf ein Garten Platz finden kann, und ähnlich wie bei den Frauen in den vorangegangenen Generationen diente er nicht nur der Selbstwirksamkeit, sondern auch der psychischen Gesundheit, so die Familienweisheit.

Als wir aus der Stadt aufs Land zogen, übernahmen wir mit dem alten Haus auch den alten Bauerngarten auf dem Grundstück. Das Haus und der Garten hatten lange leer gestanden, und beides war recht verwildert. Wir berieten uns mit einem ansässigen Gärtner, und dieser mähte einmal komplett alles nieder und stützte die Hecke, aus der inzwischen Bäume geworden waren. Die großen Buchenbäume ließen sich natürlich nicht mehr stützen, aber die Sträucher von Holunder, Felsenbirne und Unmengen von Hartriegel.



Und seitdem, seit nun vier Jahren, bin ich dabei, langsam und etwas verwirrt den Garten anzulegen, den ich mir vorstellen kann. Einen wilden Garten mit Blumen und Gemüse, aber auch vielen wilden Stauden und ein paar Obstbäumen. Da wir weder reich an Geld noch an Zeit sind, braucht es Geduld, um diesen Garten zu erreichen. Stück für Stück wachsen die Beete, und Jahr für Jahr gesellen sich neue Pflanzen und Arten dazu. Leider durchkreuzt mein ADHS oft meine Pflanzpläne, und ich verliere das Ziel und Konzept oft aus dem Blick, pflanze Stauden auf Stauden und Kohl auf Kartoffeln. Sicher ist das Staudenbeet auch nicht so harmonisch wie die großen Beete in der Stadt, aber es ist etwas wirr und kreativ und passt vielleicht sogar besser zur Gesamterscheinung des Gartens. Den Insekten und der Artenvielfalt im Garten tut es jedenfalls sehr gut, und jedes Jahr entdecke ich neue Arten im Garten, die ich gerne notiere, zeichne und katalogisiere, ebenso wie die Blumen und Gemüsesorten im Garten.

Nun, eine Freundin wie Lovis zu haben, deren wirres ADHS eine ähnliche Liebe zu wilden Gärten hervorgebracht hat und die mit einem ähnlichen Hyperfokus stundenlang über Gärten und einzelne Pflanzenarten philosophieren kann, hat mir dieses Interesse und Hobby noch näher gebracht. Zusammen haben wir diesen Blog und Lovis' Vlog erstellt, und gemeinsam haben wir nun den Podcast "Oxyflora" und hoffen so unser Interesse nicht nur nach außen zu tragen sondern auch einen Austausch zu finden mit vielen Gärtner*innen und Pflanzenintressierten Menschen. 

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